05.11.1906

Liebe Käthe!

Deinen Brief den ich erhalten habe bringt mir die nicht unbekannte Neuigkeit, daß du gerne eine Reise nach Berlin machen möchtest. Du sagtest das schon, als ich bei Euer war. Du scheinst ja jetzt ganz raviat auf Berlin zu sein. Ich kann dir das ja auch nicht verdenken, aber was zieht dich mit einem mal so nach Berlin? Es ist ja kaum 1 Jahr her, daß du da warst. Du scheinst Dir das reisen an zu gewöhnen. Wer in aller Welt kann von Sassenberg alle Jahre eine Reise nach Berlin machen. Früher kam das ja mal vor aber jetzt scheint mit die Sache doch etwas viel zu werden, oder hat es einen bestimmten Grund? Dann theile mir den bitte mit. Heute bekam ich die Nachricht von Hause, daß gestern Lina an einer Blinddarm Entzündung operiert worden ist. Die Operation scheint gut verlaufen zu sein, aber die Lebensgefahr ist noch nicht vorbei. Sie liegt im Krankenhaus bei meinem Freund Prof. Dr. Rotter, der sie auch operiert hat. Es ist ganz ausgeschlossen das sie vor Weihnachten wieder arbeiten kann und da kannst du dir denken, daß da Besuch im Hause, nicht so sehr angenehm ist. Für den Besucher scheint mir das noch viel unangenehmer zu sein, als für die Besuchten. Du kennst ja auch die Tante. Wenn sie ungemütlich ist, dann hast Du am allerwenigsten von dem Besuch. Wenn dieses nicht passiert wäre, dann hätte sich die Sache ja, glaube ich, von unserer Seite aus machen lassen. Ob Du dort weg kannst, das mußt du wissen. Aber wie gesagt, theile mir mit, was dich nach Berlin drängt. Du kannst den Brief nach hier schicken, da ich noch einige Tage hier bleibe. Ich habe fast die vorige ganze Woche nicht ordentlich arbeiten können, da der Großherzog einen Schnupfen hat. Ich hoffe jedoch, daß er morgen oder übermorgen wieder sitzen kann. Bis gestern Nachmittag war es hier sehr schönes Wetter, aber von da ab regnet es, und ich befürchte, es wird dabei bleiben.

Mit herzlichem Gruß an Euch

Beiden bin ich

Euer JUphues