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Familie Uphues & Austermann

Bernard Heinrich Alexander Uphues

(1814 - 1851)

An seiner Seite:  Catharina Austermann (1816 – 1896)​

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Ort der Inspiration:

Haus Schücking in Sassenberg zur Mitte des 19. Jahrhunderts für Catharina Uphues, geb. Austermann

Ihr Leben in Sassenberg

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Das Leben des Bernard Heinrich Alexander Uphues in Sassenberg ist schnell erzählt. Es waren ihm ja auch nur wenige Jahre für diese Erdenreise geschenkt, und das waren eher Schattenjahre.

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Über das Leben seiner Frau gibt es mehr zu berichten. Es ist eine lange Geschichte, die fast durch ein ganzes Jahrhundert reicht. Und sie berichtet uns von der vielleicht größten aller Uphues-Frauen.

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Bernard Heinrich Alexander wird am Donnerstag dem 20. Januar 1814 in Sassenberg geboren. Gerade zweieinhalb Jahre später wird seine spätere Frau, Catharina Austermann, Kleidermacherstochter , am Donnerstag dem 11. Juli 1816 in Sassenberg geboren. Für Bernard Heinrich Alexander sind die häuslichen Verhältnisse von wirtschaftlichem Auskommen und familiärer Ausgeglichenheit gekennzeichnet. Anders ist es bei den Austermanns, bei denen die Auszehrung viel Elend ins Haus bringt. So stirbt nach langem Siechtum am Mittwoch dem 18. Mai 1831 Catharinas Vater, Godefriedus Austermann im Alter von gerade 54 Jahren. Er hinterläßt seine Frau mit drei minderjährigen Kindern. Am Mittwoch dem 7. Februar 1840 stirbt auch die Mutter, Anna Maria, geb. Mersmann, "Wittib des Kleidermachers Godfried Austermann", an Brustfieber. Es muß um diese Zeit gewesen sein, daß Catharina Bernard Heinrich Alexander kennenlernt. Im Frühjahr des Jahres 1844 kündigt sich den Beiden ein Kind an. So heiraten sie am Dienstag dem

18. Juni 1844 in Sassenberg in der Kirche St. Johannes Ev., und am 23. Oktober 1844 wird ihnen der Sohn Alexander geboren.

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Nun aber kommt der Tod in das Haus an der Schloßstraße und holt den Großvater und Schöpfer der Uphueslschen Verhältnisse in Sassenberg. Am Mittwoch dem 12. Februar 1845 stirbt Alexander Damian Uphues an Entkräftung.

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Auf den Tag genau zwei Jahre später wird unter dem gleichen Dach am Freitag dem 12. Februar 1847 die Maria Catharina Elisabeth den Uphues' geboren. Das geschah aber schon wieder in einer traurigen Zeit: im selben Jahr starb am Freitag dem 31. Dezember die Großmutter des Hauses, Elisabeth geb. Kendeler. Und gleichzeitig zeigte Bernard Heinrich Alexanders schwächliche Konstitution der letzten Monate immer deutlicher ihre Ursache: die Schwindsucht war nun auch unter das Dach der Uphues‘   gekommen.

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Die Schwindsucht, aus Auszehrung genannte Krankheit (Tuberkulose) und das Brustfieber (Rippenfellentzündung) grassierten im vorigen Jahrhundert vornehmlich unter der ärmeren Bevölkerung, nicht nur Sassenbergs. Sie waren eine Folge einseitiger, vor allem fett- und fleischloser Ernährung.

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Hauptnahrungsmittel waren damals im Münsterland Kartoffeln, oft auch einziges Nahrungsmittel - wuchsen sie doch auf den Sänden Sassenbergs hauptsächlich und recht gut. Die schlecht gelüfteten und feuchten Wohnungen trugen dazu bei, daß sich Krankheitserreger gut einnisten konnten. Schwindsucht, Auszehrung und Brustfieber sind letztlich auch Spiegelbild der mangelhaften Bildung auf dem Lande in damaliger Zeit. Nur zu schnell maß man damals und oft noch heute Bildung nur an der Fähigkeit, lesen, schreiben und rechnen zu können. Von dem Sassenberger Schulmeister wurde damals auf diesem Gebiet nicht allzu viel geleistet. Bernard Heinrich Alexanders Söhne sollten es zu spüren bekommen, als sie sich gesellschaftlich hinaufarbeiten wollten.

Spätestens nach der Geburt von Maria Catharina Elisabeth 1847 sind die Lebenskräfte des Vaters so geschwächt, daß er der Gärtnerei als Broterwerb nicht mehr nachkommen kann. Da hat er Glück, daß er bei dem gegenüber in der Schloßstraße 5 wohnenden Amtmann Bernard Julius Wessel, dem Nachfolger und Schwiegersohn des Bürgermeisters Bernard von Schüching, stundenweise als Privatsekretär arbeiten kann.

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In dieser Zeit schwerer Krankheit und versiegender Lebenskraft werden den Uphues' in Sassenberg noch zwei Söhne geboren:

am Freitag dem 12 Januar 1849 Bernard Julius am Samstag dem 23. Mai 1850 Joseph Johann Ludwig.

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Ein gutes Jahr später stirbt am Dienstag dem 18. November 1851 der noch nicht einmal 38-jährige Vater der Familie und hinterläßt eine 36-jährige Frau mit vier kleinen Kindern ohne jeden verwandtschaftlichen Umkreis im ärmlichen Sassenberg. Man möchte meinen, damit sei die Geschichte unserer Familie in dieser Generation dargestellt, und wir könnten uns dem Lebensweg der Kinder zuwenden. Doch so eilig geht das nicht. Catharina wäre nicht "die Große" in unserer Familie, wenn das alles gewesen wäre. So also müssen wir schon genauer hinsehen, um zu erkennen, was sich über den physischen Plan hinaus bei den UphueS in Sassenberg tat.

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Als Catharina 1816 in Sassenberg geboren wurde, war sofort etwas Besonderes um ihr Wesen. Sie und ihr Bruder Bernard werden als Zwillinge geboren - eigentlich unerwünscht, da doch schon vier Kinder aus zwei Ehen des Vaters da sind. Eigentlich ernährt der Tisch des Schneiders nicht noch mehr Kinder doch der Himmel hat's gegeben, mögen die Eltern achselzuckend gedacht haben. Und der Vater nagelte vielleicht noch ein Brett an den Tisch. So bot diese Verlängerung den beiden neuen Erdenbürgern auch noch Platz. Mit 15 Jahren verlor Catharina den Vater, mit 24 Jahren die Mutter- Mag sein, daß sie trotzdem im Elternhaus noch so viel vom Schneidern lernte, daß es ihr später hilfreich werden konnte. Als sie sich in diesen Jahren intensiver mit Bernard Heinrich Alexander befreundetes war das auch sicherlich äußerlich eine gute Möglichkeit für die Zukunft. Die Beiden heirateten am Dienstag den 18. Juni 1844. Schon vier Monate später wurde ihnen der Sohn Alexander geboren. Ob er Vonwand zur Ehe war? Nein selbstverständlich waren sie die Eltern, und selbstverständlich sollte das Kind sie beide haben. Schon bald danach spürte man die versiegende Lebensfreude, die versiegende Kraft - eine Ahung der Vergänglichkeit schlich sich ein. Da wurde Maria Catharina Elisabeth geboren.

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Und dann - 1849/50 - als Bernard Heinrich Alexander schon vom Tode gezeichnet ist, beide wissen, was auf sie zukommt, da zeugen die Beiden in einem gewaltigen Ringen gegen den Tod und für das Leben die beiden jüngeren Söhne. Sie lieben einander mit letzter Kraft und höchstem Willen, so daß es einem überirdischen Ringen gleicht. Es scheint, als habe Bernard Heinrich Alexander vor seinem geistigen Auge den frühen Tod seiner beiden ältesten Kinder gesehen und so aus dem Sehen heraus seinen Willen geführt. Und was er sah hat Catharina unmittelbar in ihrer Seele verstanden und in sie aufgenommen. Es war aber auch ein starker Wille in den vorgeburtlichen Seelen, so daß sich die Eltern gar nicht verweigern konnten. Sie wurden Werkzeuge für einen höheren Willen, der aber gleichermaßen auch in Bernard Heinrich Alexander wirkte. Es war ein überirdisches Ringen auf Erden bei den Eltern und im Himmel bei den noch Ungeborenen. Und so kamen sie in unsere Familie nacheinander in sechzehnmonatigem Abstand, aber seelenvewandt durch alles, was das Erdenleben ihnen dann antrug-

1852 zog die Familie Levin Schücking von Gall nach Sassenberg. Während Levin viel auf Reisen war, erfuhr Luise von Gall, die europäisch - weite Lebens- und Denkgewohnheiten mitbrachte, die Enge und Engherzigkeit

Sassenbergs. Dem adelig-konservativ geprägten Anstoß, "aufs Land, aufs Schloß" zu ziehen, war bald der romantisch-poetische Anhauch entflogen. Luise hatte es unendlich schwer in Sassenberg.

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Zwischen Catharina und Luise gab es bald eine enge, geistige Berührung. Nichts wissen wir über Inhalte und Formen der Begegnungen. Es mag um die Kinder, die Gleichaltrigen beider Seiten, gegangen sein, auch im Kirche, Küche - aber diese Gespräche waren dann sicherlich untergeordneter Art. Die Berührung fand auf einer anderen Ebene statt, vielleicht sogar weitgehend wortlos - aber ungeheuer intensiv. Catharina muß aus diesen Begegnungen eine Kraft erfahren haben, die an die Liebeskräfte jener Zeugungsnächte anschloß. Eine Kraft muß ihr zugekommen sein , die sie das Geschaute jener Tage und Wochen noch einmal als Aufgabe in der eigenen Seele erfahren ließ. Die Begegnung zwischen Luise von Gall und Sassenberg, zwischen der "Luthersken" (sie war evangelisch) und der katholischen Dorfenge damals war keine Begegnung - gelinde gesagt: man mied einander. Und so brachte Catharinens Nähe zu Luise für die Uphues' im Dorf sicher manche Nachteile: "das ist doch kein Umgang für katholische Leute". Doch das focht Catharina nicht an. Sie erfuhr Anderes. Größeres, Weiteres als ihr das Dorf oder seine geistigen Führer geben konnten. Und das suchte sie weniger mit dem Verstande als mit ihrer Seele. Luise zerbrach an der Einsamkeit, an dem Gefangensein in Sassenberg, starb nach drei Jahren in Sassenberg. Catharina führte das in der Seele Erlebte hinunter in die Tat, in die Erdentaten der Mutter für ihre Kinder in Sassenberg. Die Begegnung mit Luise geschah in der Mitte ihres langen Erdenlebens.

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Luise v. Gall-Schücking um 1852

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Catharina Austermann - Uphues um 1867 (Ölbild von Joseph Uphues)

Wir haben von diesen beiden großen Frauen, die einander in Wesentlichem so bedeutend begabten, je ein Bild. Das eine zeigt uns Luise als junge Frau, es handelt sich um ein Aquarell von Adolph Schrödter. Das andere zeigt, gewiß ein wenig geschönt, Catharina auf einem Ölbild, das ihr Sohn Joseph von seiner Mutter malte, bevor er auf die Wanderschaft ging. Beide Bilder zeigen verblüffende Ähnlichkeiten der Frauengestalten, ganz abgesehen von der dem Maler gebotenen Haltung. Wir mögen diese Ähnlichkeiten als äußeres Bild der Seelenverwandtschaft verstehen. Deutlich wird aber auch der Unterschied zwischen beiden Frauen: in Luisens Gestalt erleben wir schon deutlich die Bedrückung ihrer letzten Jahre, während Catharina beflügelt, stolz und voller Energie wirkt.

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Über die Schulzeit der Uphueskinder gibt es nicht viel zu berichten. Bei dem Lehrer Alexander Theben lernte man eben auch nicht gerade viel.

Die Familie lebte zu dieser Zeit von den kleinen Verkäufen aus dem Garten und von den Kost- und Logisgeldern, die Catharina an durchziehenden Leuten verdiente. Gewiß gab es auch die Möglichkeit zu gelegentlichen Näharbeiten und damit ein weiteres Zubrot.

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Etwa gegen Mitte der 60-er Jahre nahm auch Ernst Nietschke aus Laskow im fernen Schlesien bei Catharina Quartier. Er war Seiler, befand sich auf der Wanderschaft und fand in Sassenberg wohl ausreichend Möglichkeiten, sein Brot zu verdienen. So blieb er länger, und irgendwann sah Catharina wohl die Notwendigkeit, seinen Verbleib in der Familie zu legalisieren. Sie versuchte, ihn mit ihrer Tochter Maria Catharina Elisabeth zu verheiraten. Doch die Zwanzigjährige wollte den 12 Jahre Älteren nicht zum Manne nehmen, so sagte man später. Eher, so scheint mir, hat Maria Catharina Elisabeth ihn abgelehnt, weil er doch evangelisch war. Und eine Mischehe war im damaligen katholischen Sassenberg unmöglich. Schließlich heiratete Catharina den 19 Jahre jüngeren Ernst Nietschke am Sonntag den 10. Februar 1867 in der evangelischen Kirchengemeinde in Warendorf selbst. Von nun an wurde sie im Dorf geschnitten. Und sicherlich orakelte mancher im Dorf, sie habe damals ja auch immer mit der "Luthersken" zusammengehangen. Böswillige Zungen gab es im damaligen Sassenberg gewiß genug. Sie scheinen aber Catharina nicht getroffen zu haben, darüber beschwerte sie sich nie.

Die Heirat mit Ernst Nietschke war sicher keine "Liebesheirat". Sie war nichts von alledem, was man sich im Bürgertum vorstellen mochte. Nur die Armen sahen die Notwendigkeit, die Cahtarina und Ernst zusammenführte. Die Ehe war ein Zweckbündnis zum Überleben wegen der örtlichen geistigen Enge. Der Verdacht auf eine "wilde Ehe" ohne Trauschein wäre für Catharina und Ernst gewiß zu großer Belastung geworden.

 

Die Ehe war denn auch nicht glücklich. Zu groß waren die Unterschiede: Catharina war gleich einem Bildhauer, sie schlug aus ihrer Seele das Bild ihrer

Familie. Ernst war Seilerssohn und spann in Einsamkeit auf dem Bleichwall in Sassenberg seine Seile und Gedanken. Er war nicht Former, eher ein introvertierter Träumer. Seine Talente wurden erst draußen auf dem Bleichwall beim Seiledrehen sichtbar. Dort, oder auch unterm Dachbalken arbeitsam hockend, konnte er erzählen vor großer Kinderschar aus der dörflichen Umgebung. Dann spann er seine Märchen, deren Leitfaden vielleicht aus den Wolken oder aus seinen endlosen Seilen gezogen war, das wußte keiner seiner kleinen Zuhörer. Später dann, in unserem Jahrhundert, wurde er oft in der Gesellschaft des alten Christian Rath als Gast oder auch als Ehrengast gesehen. Dort trug er wohl Gedichte vor und rezitierte aus seinem Wissensschatz - Fäden, Leitfäden seines reichen Innenlebens.

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Doch zurück zur Mutter des Hauses. Ihr Leben galt vor allem den Kindern. Besonders die beiden jüngeren Söhne machten ihr Freude. Unzertrennlich hatten sie sich auf ihren Lebensweg gemacht und gaben einander Halt und Ziele. Nur, den neuen Vater im Hause haben die beiden nicht angenommen. Nachdem beide ihre Tischlerlehre beendet hatten, heiratete die Mutter wieder, und die beiden Söhne gingen aus dem Hause auf die Wanderschaft.

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Zum Kriegsdienst - 1864, 1866 oder 1870/71 - hat man die Uphues-Jungen nicht gekriegt. Bernard Julius und Joseph bleiben im Ausland auf ihrer Wanderschaft, und Alexander bleibt befreit, weil bei ihm schon die Krankheit sichtbar wird, der man in Sassenberg immer wieder begegnen sollte: der Schwindsucht.

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Als Bernard Julius und Joseph nach dem letzten Einigungskrieg wieder nach Sassenberg zurückkehren, haben sie schon wieder neue Pläne: sie möchten eine zweite Lehre, nämlich als Steinmetze, machen. So gehen sie zur Firma Goldkuhle nach Wiedenbrück. Die Mutter trägt den Entschluß mit, denn sie sieht den Willen der Beiden, sich aus dem Elend Sassenbergs herauszuarbeiten. So bleibt es weiterhin finanziell eng in der Schloßstraße, und mancher Sassenberger wird über die beiden anspruchsvollen Jungen die Nase gerümpft haben.

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Nach der zweiten gemeinsamen Lehre, nach zwanzig gemeinsamen

Kindheits-, Lern-, Lehr- und Wanderjahren trennen sich die Wege der beiden Brüder. Bernard Julius legt nun allen Ehrgeiz und alle Hoffnung in seine Ehe und Familie mit Maria Anna Elisabeth Friederika Greil, der Husarentochter, der höheren Tochter und die Reihe der sechs gemeinsamen Kinder. Joseph steckt seiterhin alle Kraft in seine berufliche Zukunft, und eiserner Wille lenkt seine Schritte. Als er nach weiterer Wanderschaft nach Sassenberg haben sich die Brüder weiter entzweit.

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Inzwischen hatte die Mutter am Freitag dem 14. Mai 1875 ihren erstgeborenen Sohn zu Grabe getragen. Und nun opferte sie sich auf für Bernard Julius, dessen Schwierigkeiten in Münster ihn auf drei Jahre nach Sassenberg zurück fliehen ließen. Die beiden jungen Leute kamen dort mit ihrem Leben nicht zurecht und sprachen beide oft dem Alkohol zu. Joseph ließ seinem Bruder durch die Mutter Mut zusprechen, sich als Mann zu behaupten und mit dem Steuerruder in der Hand gegen die Wellen zu kämpfen (27.2.1880). Als es Joseph in Berlin selber finanziell nicht gut ging, schickte er trotzdem an seines Bruders Kinder Weihnachtspäckchen: "die armen Würmer bekommen sonst gewiß nichts!" (23.12.1886). Später gab Joseph seinem Bruder schon mal Geld, bat aber seine Mutter, Nachrichten über ihn nicht in die Wohnung, sondern ins Atelier an der Von-Heydt-Straße zu senden, um seiner Frau Einzelheiten über das "schwarze Schaff in der Familie zu verheimlichen. Schließlich aber konnte Joseph, der sich alles hart erarbeiten mußte, für einen "Drückeberger und Faulenzer", für den er seinen Bruder hielt, "kein Verständnis" mehr aufbringen. Er wandte sich von ihm ab und ging ihm möglichst aus dem Wege.

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Die Mutter verschuldete sich nun für Bernard Julius. Ja, schließlich bat sie Joseph um Geld, weil ihr niemand mehr etwas leihen wollte - und Joseph konnte ihr nicht helfen, weil "er selber gerade kein Geld habe".

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Nach fast 6-jähriger Verlobungszeit heiratet Joseph am Sonntag dem 24. Juni 1888 die evangelische Pfarrerstochter Gertrud Neumann aus Herzogswalde bei Berlin. Die Mutter in Sassenberg mag's wohl nicht recht, und Joseph meint, ihre Eifersucht zu ahnen - es mag aber auch sein, daß sie ähnliche Probleme kommen sieht wie bei Bernard Julius. Dem war sein Weib nicht untertan und er wohl unfähig, mit der Situation fertig zu werden. Nun heiratete auch Joseph eine solche 'höhere Tochter". Sollte das gut gehen?! Sie wünschte den Beiden gewiß alles erdenklich Gute, aber Skepsis blieb doch. Ein bißchen fühlte sie, als habe sie Joseph in diesen Wochen verloren. Kam er doch von Berlin her sowieso selten.

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Und zuhause hatte die Mutter wenig später nochmals Abschied zu nehmen: die Schwindsucht hatte nun auch die Tochter Maria Catharina Elisabeth eingeholt. Nun saß die Mutter mit ihrem Ernst Nietschke allein in SassenbergWar das nun die Zeit, in der Ernst zum Katholizismus konvertierte; 1879 hatte er sich noch als konfessionslos bezeichnet. Es waren einige stille Jahre, Zeit zum Nachdenken, zum Neuordnen, Frieden zu schließen auch mit den Spießern im Dorf?!

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Dann erhielt die inzwischen 78-jährige in Sassenberg auf Münster die Nachricht, daß Bernard Julius und Friederike sich getrennt haben. Friederike bezog eine kleine eigene Wohnung und verdiente sich fortan ihr Geld - auch das für den Alkohol - mit Klavierunterricht. Bernard Julius kehrte nun mit den drei jüngsten Kindern (Käthe, Bernard und Alexander) ins Elternhaus zurück. Seine beiden ältesten Kinder gingen zu dieser Zeit auf die Wanderschaft, und Ernst kam zu Pflegeeltern nach Hohenholte bei Münster.

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Als Joseph aus Berlin die Nachricht sandte, daß er nun den großen Durchbruch geschafft habe, nun ein anerkannter, freischaffender Bildhauer sei, da verging gerade noch ein knappes halbes Jahr, bis Catharina am Freitag, dem 16. August 1896 in Sassenberg nach einem langen Lebensweg für diese Zeit ihre müde gewordenen Augen schloß.

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Noch ein zweites Bildnis, zu dem ersten von 1867, ist uns von der Mutter erhalten. Es entstand 1878, ebenfalls von Josephs Hand. Dieses Medaillonrelief in fast natürlicher Größe zeigt eine vom Leben gezeichnete, aber keineswegs gebeugte Frau. Sie wirkt streng und verschlossen und voller Lebenskraft. Wir sehen die herben Züge einer Frau, die in einem harten Leben den aufrechten Gang nicht verlernt hat. Sie lebte in Bescheidenheit, in Unscheinbarkeit erstrahlte sie, dem, der sie suchte. Sie suchte nicht den Glanz, auch nicht den Glanz der kleinen Sassenberger Welt. Sie suchte nur die Entfaltung ihrer Kinder und erlebte sich darin. Für sie hat sie gebetet - zu einem Schöpfergott, von dem sie wußte, daß er nicht stumme, angepaßte Erdenkinder will, sondern den starken, frei das Leben durchschreitenden Menschen. Sie glaubte an die beseelende Kraft individuellen Freiheitserlebens, hatte wohl selbst diese Freiheit innerlich erfahren, vielleicht in der Begegnung mit Luise von Gall und sich so als Lichtträger des einen Gottes erlebt. In diesem Sinne zu helfen, so verstand Catharina ihr MutterSein. Sie war das Leben im ureigensten Sinne. Sie war die "Mutter" - und das heißt in der Sprache der Alten "das Leben".

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Wie sie in den entscheidenden Jahren ihres Lebens aus der Begegnung mit Luise von Gall wegweisende Zeichen erlas, so kam ihr, die in Sassenberg blieb, am Ende ihres Lebens die Anerkennung und der Dank ihrer Söhne zurück. Und dieser Dank liegt nicht nur im Effolg Josephs in Berlin, sondern ebenso im Versagen Bernard Julius' - denn das ist das Leben.

Aus:“ tho Uphusen“ von Klaus Uphues, 1997

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